„Produktivität […] bezeichnet das Verhältnis zwischen produzierten Gütern und den dafür benötigten Produktionsfaktoren.“ (Quelle: Wikipedia)
In Pharmaunternehmen – vermutlich auch in anderen Industriezweigen – gibt es seit einigen Jahren einen Trend zu einer „innovativen Änderung der Mitarbeiterstruktur“ beziehungsweise einer neuen Form des Selbstbetruges.
Das Prinzip funktioniert so.
- Ein Analyst oder Investor bemängelt die schlechte Produktivität des Unternehmens, besonders bezogen auf die Mitarbeiterzahl (= eingesetzten Arbeitsstunden = Arbeitsproduktivität). Dies drückt auf die Unternehmensbewertung und den Aktienkurs.
- Das Unternehmen möchte seine Bewertung verbessern und reduziert daher den sogenannten Headcount, d.h. die Anzahl im Unternehmen verfügbarer Stellen. Dadurch verbessert sich kalkulatorisch die Produktivitätskennzahl.
- Als Folge werden Teams reduziert, Stellen nicht neu besetzt, Mitarbeiter in den Frühruhestand geschickt oder entlassen.
- Allerdings folgt die Entscheidung der Reduzierung des Headcount nicht unbedingt betriebswirtschaftlichen Maßstäben, sondern finanzmarktpolitischen. Die Menge an notwendiger Arbeit ist nicht weniger geworden. Bei nüchterner und ehrlicher Betrachtung hat sie sich sogar erhöht, da sich durch die notwendigen Umstrukturierungen zusätzliche Aufgaben und Lasten ergeben.
- Also heuert man Freelancer und Leiharbeiter an, um die Arbeit zu erledigen. Denn sowohl Freelancer als auch Leiharbeiter tauchen nun in der Unternehmensstatistik nicht als Mitarbeiter auf, sondern werden auf Projektbudgets oder Service-Einkauf verbucht. Das heißt, die Produktivitätskennzahl bleibt (ge)schön(t) hoch.
- Gleichzeitig ist das Konstrukt mit Freelancern und Leiharbeitern aber wesentlich teurer. Auf den Lohn der Leiharbeiter schlagen die verleihenden Personalunternehmens ihre eigenen Gebühren sowie Gewinn drauf. In der Summe kann das bis zum anderthalbfachen eines Mitarbeiterbruttogehaltes gehen.Und viele Freelancer sind ehemalige Mitarbeiter, die gerade zuvor in Frührente geschickt worden waren. Diese bekommen – zusätzlich zur beträchtlichen Abfindung und Mitteln für die Vorruhestandregelung – oft einen höheren Stundensatz als Mitarbeiter.
- Das Unternehmen hat sich also faktisch eine geschönte Produktivitätskennzahl teuer erkauft. Die reale Produktivität ist die gleiche geblieben, in der Regel sogar gesunken.
Summa summarum hat das Unternehmen sowohl Analysten und Investoren als auch sich selbst betrogen. Ich wage zu behaupten, dass dies Ersteren wahrscheinlich sogar klar ist, aber wahrscheinlich wichtiger, dass die Kennzahl für den nächsten Bericht stimmt.
Der Unternehmensführung ist der Selbstbetrug auch klar (hoffe ich), aber das Ziel, an den Finanzmärkten eine gute Figur zu machen, wurde erreicht. Ob sich das Unternehmen allerdings – nach betriebswirtschaftlichen und unternehmerischen Maßstäben – selber einen Gefallen tut, habe ich persönlich meine Zweifel. Aber das ist unter Umständen auch nicht die Messlatte.
Fazit: Leiharbeit und Produktivitätsbeschönigung greifen zunehmend um sich, in der Pharmawelt und wahrscheinlich auch anderswo. Die Auswirkungen sind kurzfristig nett, bezogen auf Analystenbewertungen und Aktienkurs. Inwieweit sich langfristige Effekte auswirken, wie Kostensteigerungen, Fehlplanungen aufgrund von Fehlannahmen und – last not least – sinkendes Mitarbeiter-Commitment auswirken, bleibt abzuwarten.
Unternehmensnachrichten über zu hohe Kosten könnten Indikator für eine Fehlentwicklung sein. Wobei jedoch … minderbegabte Analysten, Investoren und Manager „zu hohe Kosten“ leider auch wieder mit „zu viele Mitarbeiter“ gleichsetzen.
Und so dreht sich das Karussell …
Die Anwendung des Prinzips Mitarbeiter-Outsourcing ist übrigen bei schweizerischen Pharmaunternehmen verbreiteter, da hier die nationale Gesetzgebung weniger restriktiv ist als beispielsweise in Deutschland. Inoffizielle Zahlen sprechen in manchen Bereichen (beispielsweise der internen IT) der in der Schweiz angesiedelten Big Pharma von mittlerweile bis zu 40% „Externen“.
Hinweis: Übliche interne Codes für Leiharbeiter sind Contractors (Contract Position), Externe, Consultants oder Lohnarbeiter.
First publication by VELTENSicht blog
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