Irrtum Nr. 1: „Bonusgekoppeltes Leistungsmanagement fördert Leistung und Innovation“
Richtig ist: Boni fördern vor allem opportunistisches Verhalten. Ich will das auch solide begründen. Ich kenne Kollegen, die mehr leisten. Kollegen, die Mißstände offen ansprechen und aktiv verändern wollen. Kollegen, die innovativ denken und mit neuen Ideen kommen. Diese Kollegen sind für Andere oft unbequem und ecken zwangsläufig früher oder später an. Leistung und Innovation erzeugen eben Reibungshitze. Im Ergebnis machen sich solche Mitarbeiter eben nicht nur Freunde, und haben dadurch ein naturgegeben höheres Risiko, schlechtere Bewertungen zu erhalten. Fazit: Bonusgekoppeltes Leistungsmanagement hemmt überdurchschnittliche Leistung, Innovation und Weiterentwicklung. Die Kollegen jedoch, die unauffällig, brav und innovationsfrei ihre Zielvorgaben erfüllen, setzen sich diesem Risiko nicht aus. Durch vorausschauende Wahl der Zielvorgaben „übererfüllen“ sie eventuell sogar mit überschaubarem Aufwand aber voll systemkonform. Diese Mitarbeiter konzentrieren sich auf bewährte Vorgehensweisen und vermeiden Aktivitäten, bei denen sie in den Fokus kommen könnten. Fazit: Bonusgekoppeltes Leistungsmanagement fördert Opportunismus und Mittelmaß.
Irrtum Nr. 2: „Bonusgekoppeltes Leistungsmanagement unterstützt die Weiterentwicklung der Mitarbeiter“
Weiterentwicklung basiert auf Lerneffekten. Und für jeden gewünschten Lerneffekt (wie z.B. „Leistung zeigen nutzt mir“) braucht es transparente und nachvollziehbare Anreizsysteme, denn ich muss ja jederzeit verstehen, warum und wofür ich belohnt werde. Gleichzeitig macht diese Nachvollziehbarkeit die Systeme kalkulierbar und damit potenziell umgehbar. Es wird ja nicht Leistung im allgemeinen gefördert. Sondern es wird in der Regel versucht, Leistung an Kennzahl-definierte Milestones zu messen. Allerdings kann man Kennzahlen und Milestones eben oft auch auf anderen Wege – ohne wirklichen Nutzen für das Unternehmen – erreichen. Z.B. durch klug gewählte Ziele oder eine Fixierung auf die Kennzahl und nicht das dahinter liegende eigentliche Ziel. Die Kalkulierbarkeit des Systems führt also zwangsläufig die Versuchung im Unternehmen ein, mit geringstmöglichem Aufwand Kennzahlen zu erfüllen. Mit Leistungsanreiz und echter Motivationssteigerung hat das kaum etwas zu tun.
Irrtum Nr. 3: „Bonusverlust spornt an, das nächste Mal mehr Einsatz zu zeigen“
Richtig ist: Die in der Praxis beobachtete Demotivation ist weitaus größer als der theoretisch gewünschte Anreizeffekt. Ich zitiere T.M. Amabile und S.J. Kramer, „Negative Vorfälle wirken sich üblicherweise stärker auf Gefühle, Wahrnehmungsfähigkeiten und Motivation von Menschen aus als positive Ereignisse.“ Ein Unternehmen ist eben kein Kindergarten (Ausnahmen bestätigen die Regel), wo man unerwünschtes Verhalten durch Spielzeug-Entzug sanktionieren kann. Es ist wirklich keine gute Idee, bei hochausgebildeten Spezialisten und Facharbeitern Trivial-Pädagogik anzuwenden. Im Falle der Bestrafung, also des Bonusentzugs, beobachtet man als Resultat oft nicht die nüchterne selbstkritische Analyse. Sondern stattdessen kommen überlagernde Emotionen ins Spiel. Enttäuschung. Verletzung. Persönliche Verärgerung. Das Gefühl, dass die eigene Tätigkeit oder sogar man persönlich nicht wertgeschätzt wird. Eine ehrliche kritische Bewertung der eigenen Leistung wird dann kaum akzeptiert werden. Die Verärgerung über das entgangene Geld (und die damit verbundenen Emotionen) verhindern den gewünschten Lerneffekt. Das bedeutet: in der Bestrafungsvariante des Bonus wirkt dieser sogar erheblich kontraproduktiv. Schuld ist allerdings nicht der Mitarbeiter, weil er falsch reagieren würde. Schuld ist ein Management, das diesen zwangsläufigen weil überaus menschlichen Effekt nicht berücksichtigt.

Irrtum Nr. 4: „Boni erhöhen die Akzeptanz und damit die Qualität jährlicher Mitarbeiterbewertungen“
Richtig ist: Akzeptanz und Qualität der (Selbst)Bewertungen leiden belegbar, sobald es eine Verknüpfung zwischen Mitarbeiterbeurteilung und Bonuszahlung gibt. Die Gründe hierfür sind vielfältig.
- Beispielsweise wird Mitarbeiter A dem Mitarbeiter B im formalen Prozess weniger wahrscheinlich ein ehrliches Feedback geben, wenn für den Kollegen damit ein finanzieller Verlust verbunden sein könnte.
- Voraussichtlich wird Mitarbeiter B sich ohnehin bevorzugt Kollegen für ein Bewertungsfeedback aussuchen, die sich eher positiv äußern und seinen Bonus nicht gefährden. Der Anreiz Bonus ist eben deutlich stärker als der Anreiz persönliche Weiterentwicklung.
Irrtum Nr. 5: „Bonusgekoppelte Leistungsmanagementsysteme sind gerecht und fair“
Richtig ist: Sie können nur ungerecht sein. Die Leistungsbeurteilung wird immer auch vom konkreten Umfeld abhängig sein, und ist damit grundsätzlich relativ. Eine Leistung mag in der einen Abteilung überdurchschnittlich sein, in einer anderen reicht dieselbe Leistung nur für Mittelmaß. Ein kleiner Hinweis am Rande: einfach davon auszugehen, Mitarbeiter würden – auch abteilungsübergreifend – nicht miteinander über ihre Boni sprechen, wäre schon sehr naiv. Aber diesen Fehler machen Sie natürlich nicht.
Irrtum Nr. 6: „Bonusgekoppeltes Leistungsmanagement fördert im internen Wettbewerb die guten Mitarbeiter“
Ja, leistungsabhängige Boni fördern“gute“ Mitarbeiter. Aber in was sind diese Mitarbeiter denn gut, worauf wird denn tatsächlich selektiert? Werden Mitarbeiter gefördert, die Leistung zeigen, oder solche, die gut im Bonuserhalt sind? Das eine hat nicht zwangsläufig etwas mit dem anderen zu tun. Ich behaupte, es werden vor allem Mitarbeiter gefördert, die vor allem auf finanzielle Vorteile fixiert sind. Mitarbeiter, die sich weniger herausfordernde Ziele aussuchen, sondern gut erreichbare. Mitarbeiter, die erfolgreich darin sind, mittelmäßigen Leistung und unambitionierte Ziele gut zu verkaufen. Es werden Mitarbeiter gefördert, die sich opportunistisch und risikoscheu verhalten, und nicht durch das Ansprechen von Fehlentwicklungen oder durch echte(!) Innovationen angreifbar machen.
Irrtum Nr. 7: „Bonusgekoppeltes Leistungsmanagement führt zu Identifikation und Hingabe für das Team, das Unternehmen und seine Ziele“
Richtig ist: Leistungs- oder provisionsabhängige Boni wirken primär auf individueller Ebene und sorgen dafür, dass die Mitarbeiter sich vor allem auf ihren eigenen Nutzen konzentrieren. Sie sprechen die Partikularinteressen des Einzelnen an, und führen zu individuellen Mikrozielen. Mit einer „Identifikation mit dem Unternehmen“ hat das nichts zu tun. Selbst das Team spielt dabei nur solange eine Rolle, wie sich der Einzelne einen Nutzen davon verspricht.

Irrtum Nr. 8: „Die Verteilung von low und high performern folgt immer einer Gauß’schen Kurve“
Die Gauß’sche-Verteilungskurve ist ein Element der theorethisch-mathematischen Grundlagen vieler Mitarbeiterbewertungssysteme; in der Praxis kann die Verteilungskurve Ihrer Belegschaft aber erheblich davon abweichen. Zur Erläuterung will ich zwei einfache Fragen stellen.
- Angenommen, Sie haben den Anspruch, gezielt und bevorzugt High-Potentials und Leistungsträger anzuwerben. Sollte die Verteilungskurve in Ihrem Unternehmen dies nicht abbilden und entsprechend in Richtung „high performer“ verschoben sein? Falls sie das nicht sein sollte, versagt dann nicht Ihre Rekrutierung?
- Angenommen, Ihr Anreizsystem soll Leistung fördern. Sollte sich dann die Leistung der Belegschaft nicht stetig verbessern und die Verteilungskurve sich in Richtung „high performer“ verschieben? Falls sie das nicht tut, versagt dann nicht das Anreizsystem?
Irrtum Nr. 9: „Bonusgekoppeltes Leistungsmanagement erzeugt eine positive Mitarbeiterstimmung“
Richtig ist: sie erhellen kurzzeitig die Stimmung einzelner Mitarbeiter. Dieser Effekt ist allerdings nicht nachhaltig, und immer wieder wird beobachtet, dass – u.a. aus den vorab genannten Gründen – die Gesamtstimmung von Belegschaften tendenziell eher negativer wird. Dazu kommt, dass Unternehmenserfolg immer eine Teamleistung ist. Und die Wahrnehmung und Einschätzung, wer die wirklichen Leistungsträger sind, kann sehr unterschiedlich sein. Einzelne herauszustellen, sendet dann nicht immer die richtigen Signale.
Irrtum Nr. 10: „Bonusgekoppeltes Leistungsmanagement steigert die Unternehmensperformance“
Die Konzentration auf individuelle Partikularinteressen und Mikroziele kann in der Summe kurzfristig die Umsatzzahlen erhöhen. Aber mittel- bis langfristig können Folgeeffekte dem Unternehmen sehr schaden. Die Summe der individuellen Mikroziele ist eben nicht zwangsläufig identisch mit dem Unternehmensziel. Beispielsweise gibt es immer wieder Fälle, dass intern Umsätze frisiert und Quartalszahlen manipuliert werden, um höhere Bonuszahlungen herauszuschlagen. Die negativen Folgen, die fehlerhafte interne Kennzahlen haben können, brauche ich hoffentlich nicht zu erläutern. Oder in einem anderen Beispiel, dass Versicherungsvertreter aufgrund des Provisionssystems bevorzugt einzelne Produkte verkaufen und nicht solche, die im jeweiligen Kundeninteresse wären. Dann kann der Imageschaden für das Unternehmen immens sein, sollte dies publik werden. Aktuelle Fälle gibt es auch hier mehr als es sollte.
Fazit
Leistungsabhängige Bonussysteme erfüllen die Erwartungen oft nicht. Negativen Effekte und Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation und -leistung sind meist weitaus grösser als die erhofften positiven.
Nachtrag im April 2016:
- „Warum man Beurteilungsgespräche abschaffen sollte“, DIE WELT Online vom 19.04.2016
- “Forced Ranking” – Relikt aus dem letzten Jahrtausend, Blogpost vom 31.12.2013
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